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Zeitenwende in Myanmar?

 

Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Myanmar hat Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und ihre Partei einen historischen Wahlsieg errungen. Nach fünf Jahrzehnten der Militärherrschaft hofft das Land nun auf einen demokratischen Wandel. Irene Fellmann, die sich mehrere Wochen als Wahlbeobachterin in dem Land aufhielt, schildert ihre Eindrücke.

Frau Fellmann, wie ist die Stimmung im Land nach dem fulminanten Wahlsieg der NLD, der Nationalen Liga für Demokratie?
Die Menschen sind vorsichtig optimistisch, viele sagen aber, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Momentan bleibt abzuwarten, ob es zu einer geregelten Machtübergabe kommen wird oder ob sich die Geschichte von 1990 wiederholt – die NLD hatte haushoch gewonnen, das Wahlergebnis wurde vom Militär jedoch nicht anerkannt.

Wie sind die aktuellen Wahlen abgelaufen?
Wir haben nichts beobachten können, was auf einen Wahlbetrug hinweist. Dennoch muss man einschränkend sagen, dass die Wahlen nicht allgemein und wohl auch nicht immer frei abgelaufen sind. Zum einen waren Minderheiten wie etwa die muslimischen Rohingyas ausgeschlossen. Zum anderen ist es nicht unwahrscheinlich, dass auf Militär- und Staatsbedienstete ein gewisser Druck ausgeübt wurde, was ihre Stimmenabgabe anbelangt. Zudem werden laut der Verfassung von 2008 von vornherein 25 Prozent der Sitze im Parlament dem Militär zuschlagen, diese sind damit nicht vom Volk gewählt.

Aung San Suu Kyi hat die absolute Mehrheit errungen, dennoch darf sie selbst nicht Präsidentin werden. Wie wird sie sich verhalten?
Aung San Suu Kyi war mit einem Briten verheiratet, ihre Söhne haben ausländische Pässe. Laut Verfassung dürfen Präsidenten jedoch keine ausländischen nahen Angehörige haben. Aung San Suu Kyi bekräftigte mehrmals, dass sie die Wahl gewonnen habe und daher die Regierung führen werde. Der zu wählende Präsident müsste daher ihre Weisungen entgegennehmen. In dieser Frage bleibe ich skeptisch, denn er ist der oberste Machthaber. Eine Präsident, der von ihr gelenkt wird, entspräche nicht der Verfassung – das könnte gegen sie verwendet werden.

Aung San Suu Kyi kämpft seit 25 Jahren für Demokratie, sie ist eine Freiheitsikone. Wird eine Ikone beschädigt, wenn sie sich in die Niederungen der Politik begibt?
Ja, und das ist auch schon der Fall. Aung San Suu Kyi wird kritisiert, dass sie sich für die ethnischen Minderheiten nicht sehr stark eingesetzt hat. Es gab keinen einzigen muslimischen Kandidaten. Dazu muss man wissen, dass sich die Anhängerschaft des NLD in der Mehrheit aus ethnischen Burmesen zusammensetzt. Ob die sich dem Druck buddhistischer Hardliner gebeugt haben, kann ich aber nicht beurteilen. Aung San Suu Kyi wird zudem oft vorgeworfen, sie sei eine one-woman-show und ließe niemanden neben sich zu. Die Menschen verehren sie als Führungsfigur, eine Verehrung, die auch noch ihrem Vater gilt, einem Unabhängigkeitskämpfer zu Zeiten des Kolonialregimes. Sie müsste in ihrer Partei trotzdem mehr profilierte Personen hochkommen lassen, um die Machtbasis zu erweitern.

Es gab in den vergangenen Jahren auch im Militär Stimmen, die sich für Reformen stark gemacht haben.
Das Militär musste das Land schrittweise öffnen, um die Sanktionen des Westens abzumildern. Dafür stehen Vertreter wie Thein Sein, der erste zivile Präsident seit 1962, der 2011 ins Amt kam. Man kann für die neue Regierung nur hoffen, dass die Reformer die Oberhand behalten. Es gibt eben auch jene, die sich um ihre Pfründe sorgen und die fürchten, dass sie für die zahllosen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich habe mit vielen in der Bevölkerung gesprochen, nach einem halben Jahrhundert der Angst herrscht nach wie vor ein ungeheures Misstrauen gegenüber dem alten Regime – daran haben auch die vier moderateren Jahre nicht viel geändert.

Wird auch die wirtschaftliche Öffnung des Landes weiter vorangetrieben?
Privatisierungen und ausländische Investitionen werden unter fortgesetzten Reformen mit Sicherheit zunehmen. Mit dem Reformprogramm der Vorgängerregierung wurden bereits westliche Investoren ins Land geholt, beispielsweise eine norwegische Mobilfunkgesellschaft. China ist jedoch nach wie vor der wichtigste Wirtschaftspartner, das Land hat viel in den Abbau der Bodenschätze und in den Energiesektor investiert. Aung San Suu Kyi ist eine kluge Frau, eines ihrer ersten Treffen nach der Wahl war mit dem chinesischen Botschafter, die engen Beziehungen sollen erhalten bleiben. Die neue Regierung braucht China auch im Kampf gegen den Drogenanbau. Noch mischen die Militärs hier kräftig mit – eine Verquickung zwischen Machthabern und Mafia.

Wie ist das Verhältnis zwischen Myanmar und seinem Nachbarn Thailand?
Thailand ist kein so enger Partner wie China, weil es nicht in dem Maße investieren kann. Darüber hinaus hat Thailand zu Zeiten der Bürgerkriege sehr viele myanmarische Flüchtlinge aufgenommen. Diese haben dort politische Organisationen und Think Tanks gegründet, die sich gegen die Zentralregierung in Myanmar richteten. Thailand hat sich auch sehr für Reformen und die Freilassung von Aung San Suu Kyi eingesetzt, die ja von den Militärs mehrmals für einige Jahre unter Hausarrest gestellt wurde. Insofern ist Thailand ein Land, das bislang mit gewisser Vorsicht behandelt wurde.

Seit einigen Jahren steigt die Zahl der ausländischen Besucher, 2015 lag sie bereits bei fünf Millionen. Wird der Tourismus sich weiter entwickeln?
Davon kann man ausgehen. Myanmar ist für viele ein lohnendes Ziel, da es lange Jahre in bestimmten Gebieten gar nicht bereist werden konnte. Entsprechend groß ist nun der Wunsch, dieses Land kennenzulernen. Das touristische Potenzial ist groß. Myanmar ist ein traumhaftes Land, grün, bergig, mit einer reichen Vegetation. Die historische Königstadt Bagan ist von der Bedeutung mit Angkor Wat zu vergleichen. Auf über 30 Quadratkilometern reiht sich Pagode neben Pagode. Seit der Öffnung unterstützt auch die UNESCO Myanmar, sein historisches Erbe zu erhalten. Die touristischen Highlights wie Bagan, Mandalay, Rangun oder der Inle-See sind mittlerweile stark besucht. Teilweise sogar schon überlaufen, da es noch keine ausreichende touristische Infrastruktur gibt. Aber das macht ja für viele auch den besonderen Reiz des Landes aus, es ist noch nicht alles so erschlossen wie beispielsweise in Thailand.

Steht Myanmar vor einer Zeitenwende? Hat die Demokratie nun eine echte Chance?
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, um von einer Zeitenwende zu sprechen. Die Zukunft wird ganz entscheidend davon abhängen, ob es dem innerlich zerrissenen Land gelingt, eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Aung San Suu Kyi ist angetreten, Rechtsstaatlichkeit, Grund- und Menschenrechte umzusetzen. Sie findet jedoch Bedingungen vor, die dies zu einer echten Herausforderung machen. Die Widerstände aus den Kreisen, die dadurch verlieren würden, sind groß. Eine wirkliche Demokratisierung ist durch die aktuelle Verfassung nicht möglich und eine Verfassungsänderung kann durch die Militärs blockiert werden. Diese werden also weiterhin eine große Rolle im Land spielen. Man kann auch nicht erwarten, dass sich in Myanmar eine Demokratie im europäischen Sinne entwickelt. Hierzu sind die kulturellen Voraussetzungen einfach zu verschieden. Aber es ist doch bereits einiges in Bewegung geraten. In der Gegend, in der ich mich für die Wahlbeobachtung aufhielt, hat sich eine sehr lebhafte Zivilgesellschaft entwickelt, was angesichts der bisherigen Kultur der Angst erstaunlich ist. Mit welcher Reife sich die Menschen mit der Zukunft ihres Landes auseinander setzen, hat mich zutiefst beeindruckt.

Interview: Stephanie Arns 

 

Die Mehrheit der Einwohner Myanmars sind Buddhisten. Mehr über die Entstehungsgeschichte des Buddhismus, seine unterschiedlichen Strömungen und die Gründe von religiösen Spannungen im Vielvölkerstaat Myanmar erfahren Sie im SympathieMagazin »Buddhismus verstehen«. Weitere Hintergründe über die südostasiatischen Staaten Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam sowie Indien und China finden Sie in unseren Ländermagazinen Asien.

Links:
Myanmar - zwischen Tradition und Aufbruch, von Michael Lohmann, erschienen im Tecklenborg Verlag

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