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Wettlauf gegen die Zeit

Copyright Bild: Martin von Hildebrand
Interview: Sandra Weiss

Martin von Hildebrand, geboren 1943 in New York, ist Enkel des Philosophen Dietrich von Hildebrand, der wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus aus Deutschland fliehen musste. Die Familie ging nach Kolumbien, wo der Vater die Universidad de los Andes mit begründete. Martin studierte Völkerkunde. Als Leiter der »Indigena«-Behörde erreichte er die Anerkennung von über 206.000 km² Land (dreimal die Fläche Bayerns) als kollektive indigene Territorien – ein Rechtsgebilde, das in die Verfassung einging. Außerdem war er als kolumbianischer Gesandter treibende Kraft bei der Aushandlung der Konvention 169 der ILO, des bis heute wichtigsten völkerrechtlichen Abkommens über indigene Rechte. 1990 gründete er die Stiftung Gaia Amazonas. Er gewann unter anderem den Right Livelyhood Award, den alternativen Nobelpreis. Aktuell treibt er die Einrichtung eines Schutzkorridors von den Anden bis zum Amazonas voran.

 

Herr von Hildebrand, woher kommt Ihr Engagement für den Amazonas?
In den 70er Jahren war ich für Forschungen im Dschungel. Dort habe ich schnell bemerkt, dass die Indigenen im Begriff waren, ihre Kultur zu verlieren. Die Kinder wurden in kirchlichen Internaten ausgebildet und »zivilisiert«, die Männer von den Kautschukbaronen versklavt.

 

Was hatte das für Folgen?
Sie verloren den Bezug zur Mutter Erde und damit die identitätsstiftenden Rituale. Sie und ihr Land wurden verwundbar. Doch nie wären sie auf die Idee gekommen, rechtlichen Anspruch auf ihr Land zu erheben, weil sie finden, es gehört der ganzen Menschheit. Nach langen
Diskussionen gaben sie mir grünes Licht, für indigene Landtitel zu streiten. 1981 waren die politischen Umstände günstig, und wir bekamen die ersten 4,5 Millionen Hektar.

 

Was wurde seither erreicht?
Heute sind 26 Millionen Hektar, also 55 Prozent des kolumbianischen Amazonasgebiets, kollektives Stammesland.

 

Trotzdem liest man von Rekord-Entwaldungsraten ...
Zu Zeiten des Konflikts waren die Flüsse des Amazonas ein wichtiger Korridor für den Drogen­handel und standen unter der Kontrolle der Bewaffneten. Die Guerilla ließ die Indigenen weitgehend in Ruhe, und die Präsenz der Bewaffneten schreckte Eindringlinge ab. Das hat sich nach dem Friedensschluss geändert. Jetzt dringen Viehzüchter und Goldschürfer vor.

 

Eigentlich garantiert die kolumbianische Verfassung den Gemeinden Rechte, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es gibt die Möglichkeit von Plebisziten gegen Megaprojekte, und das Verfassungs­gericht hat beispielsweise den Bergbau in den Hochmooren generell verboten. Das hört sich vorbildlich an.
Die Gesetze in Kolumbien sind fortschrittlicher als in anderen Ländern. Aber in der Praxis sieht es leider oft anders aus, weil der Staat zu schwach ist, sich vor Ort gegen regionale wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Oder weil mit dem Argument der nationalen Entwicklung keine Rücksicht auf die Umwelt und Stammesgebiete genommen wird. Daraus entstehen viele Konflikte.

 

Welche Lösungen sehen Sie?
Zusammen mit anderen NGOs haben wir die Einrichtung eines länderübergreifenden Schutzkorridors von den Anden zum Amazonas vorgeschlagen, in dem die Indigenen traditionell leben können, kombiniert mit einem nachhaltigen Entwicklungsmodell aus fairer Wirtschaft, ­Agroforstsystemen und erneuerbaren Energien. Deutschland und Norwegen unterstützen diese Idee. Allerdings wäre es wünschenswert, dass Deutschland auch die Konvention 169 der Internationalen Arbeits­organisation (ILO) unterzeichnet, die den Schutz indigener Völker festschreibt. Für mich ist klar, dass der Amazonas ohne die Indigenen nicht gerettet werden kann. Mit Naturschutzgebieten und Parkwächtern ist es unmöglich, so ein riesiges Territorium zu kontrollieren.

 

Wie sieht es im Hochland und in den Städten aus? Auch dort gibt es ja enorme Umweltprobleme.
Wir müssen unser Wirtschaftsmodell ändern. Das ist keine Utopie, denn viele Ideen gibt es ja schon, angefangen von alternativen Verkehrskonzepten und erneuerbaren Energien bis zu biologischer Vieh- und Landwirtschaft.

 

Warum fällt das Umdenken so schwer?
Die wirtschaftlichen Interessen hinter der Agroindustrie und der Konsumgesellschaft sind sehr stark. Solche Gewohnheiten zu ändern ist mühsam. Die Politiker sagen oft, wir brauchen erst wirtschaftliche Entwicklung und dann Umweltschutz. Deswegen gibt es wenig finan­zielle Mittel für die Erforschung und Umsetzung alternativer Modelle. Ich sage, dass Entwicklung und Umweltschutz Hand in Hand gehen müssen, wenn wir überleben wollen. Und dabei kann ein Land allein nichts ausrichten, sondern alle müssen zusammenarbeiten. Der Klimawandel führt uns das täglich vor Augen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, und noch wissen wir nicht, wer ihn gewinnen wird.

 

Aus unserem SympathieMagazin Kolumbien verstehen

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