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Leseprobe »Westbalkan verstehen«

Zeit für Tee

Leseprobe aus unserem SympathieMagazin »Westbalkan verstehen«

Was gibt es Schöneres, als an einem klirrend kalten Wintertag in einem gemütlichen Café eine Tasse Bergtee zu schlürfen? Der aufsteigende Dampf und das bittersüße Aroma versetzen mich augenblicklich zurück in meine Kindheit und in die Küche meines Elternhauses, wo schon früh am Morgen die Teekanne auf dem Holzofen vor sich hin brodelte. Damals bestand ein typisches albanisches Frühstück aus geröstetem Weißbrot mit einem Stück Schafskäse, Marmelade oder Honig, manchmal einem kleinen Stück Butter oder einem Spritzer Olivenöl. Und natürlich durfte eine Tasse des grün-gelblich leuchtenden Tees nicht fehlen!

Der Bergtee, genauer »Sideritis raeseri Boiss & Heldr«, ist mancherorts auch als Hirtentee bekannt. Er ist in den Bergregionen des Balkans endemisch und kommt im Südosten Albaniens, in Bulgarien, Griechenland und Nordmazedonien vor. Man findet ihn auf hoch gelegenen Kalkfelsen in 1.200 bis 1.800 Metern Höhe. Im gemäßigten Klima gedeihen die Blüten, die von Juni bis August in voller Pracht blühen. Der Tee hat in der Volksmedizin eine lange Tradition, denn er ist ein wahrer Alleskönner: Er wird gegen Grippe, Bronchitis und bei Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt.

In den ländlichen Gebieten ist der Bergtee eine wichtige Einnahmequelle. Meist sind es die Frauen, die von März bis September den wilden Tee sammeln, um den nationalen und internationalen Markt mit getrockneten Stängeln und Blüten zu beliefern. Seit einigen Jahren wird der Tee nicht mehr nur lose auf Bauernmärkten, sondern auch abgepackt oder in Teebeuteln in Supermärkten angeboten.

Doch die unkontrollierte Wildernte bedroht den Bestand. Oft werden die Pflanzen geerntet, bevor sie ihr optimales Wachstumsstadium erreicht haben. Manchmal werden sie mit der Wurzel ausgerissen und können sich nicht mehr regenerieren. Hinzu kommen Überweidung und der Klima­wandel – der Rückgang der Schneedecke und die Umverteilung der Niederschläge verkürzen die Vegetationsperiode der Pflanzenart. Ein kontrollierter und nachhaltiger Anbau von Bergtee könnte die lokale Wirtschaftsentwicklung von der Wildernte entkoppeln.

Wer den Balkan erkundet, wird auf eine Vielzahl von Serviertraditionen stoßen – mal wird der Tee kalt, mal heiß serviert, mal mit Gewürzen oder Süßigkeiten kombiniert. Die Zubereitung ist immer gleich: Wasser wird mit den getrockneten Stängeln und Blüten zum Kochen gebracht. Je länger der Tee zieht, desto intensiver sein Geschmack.

Text: Ermelinda Mahmutaj/Marjol Meço

 

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