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Leseprobe "Land & Leute verstehen"

Das tägliche Brot

Leseprobe aus unserem SympathieMagazin "Land & Leute verstehen".

Ich bin in Tadschikistan im Pamirgebirge und sitze im Schneidersitz auf dem »Taptschan«, einem flachen, oft überdachten Gestell, auf dem gegessen und im Sommer auch übernachtet wird. Über mir ragt ein sehr alter Aprikosenbaum auf, und ich erfreue mich am vollen Geschmack seiner getrockneten Früchte.
Gedankenverloren bröckele ich etwas von meinem Fladenbrot in meinen »Schirtschoj«, einen schwach gesalzenen Milchtee. Khajrullo guckt mich erwartungsvoll an. »Wenn du was anderes essen willst, sagst du Bescheid, ja?«

»Danke. Aber ich will nichts anderes essen. Ich möchte mit euch euer normales Essen zu mir nehmen. Und das ist doch euer normales Essen, oder?« – »Ja, fast jeden Tag. Morgens und abends.«
»Und mittags?« – »Mittags sind wir auf dem Feld. Da gibt es ein Stück Brot und Quellwasser.«

Brot hat Sebandon gestern gebacken, im »Tandyr«, dem runden Ofen hinter dem Haus. Ich durfte dabei zugucken und schnuppern. Mir fällt auf, dass ich dieses frische Brot zugeschoben bekomme, meine Gastgeberinnen und Gastgeber aber brechen das alte, steinharte Fladenbrot der letzten Woche in ihren Schirtschoj.

Niemals würde man Brot wegwerfen, weil es hart ist. Auch an die Tiere verfüttern kommt nicht infrage. Den Blick eines Mannes im Wakhan-Tal, der eine Reisende dabei beobachtete, wie sie einen streunenden Hund mit Brot fütterte, werde ich nie vergessen. Brot ist heilig im Pamir. Fällt ein Stück auf den Boden, hebt man es auf, küsst es und legt es sorgfältig wieder auf den Tisch.

Wer jemals gesehen hat, wie die Frauen auf den winzigen Feldern, oft irgendwo weit oben am steilen Hang, das spärlich gewachsene Getreide sicheln, zu Garben binden und auf dem eigenen Rücken nach Hause schleppen, wie in kleinen Wassermühlen das Korn gemahlen wird, wie mühevoll das Sammeln von Reisig oder Dung für das Feuer ist, wird dazu keine Fragen mehr stellen.

Heilig ist auch der »mechmon«. Das ist der Gast. Er ist ein Gottesgeschenk; es wird alles getan, damit er sich wohlfühlt. Das bringt »baraka«, Gottes Segen, ins Haus. Das Repertoire der Gästebeglückung umfasst oft auch das Schlachten, Zubereiten und Essen eines Tieres, sei es ein Schaf, eine Ziege oder ein Huhn. Es kann das einzige Tier der Familie sein. Umso mehr wunderte ich mich, als ich einmal in einem Reiseführer folgenden Satz las: »Tadschikis­tan ist das Land der Fleischesser.« Zweifellos bekommt man in ­Duschanbe in Restaurants Fleischgerichte serviert. Doch das Gros der Menschen im Land lebt überwiegend vegetarisch von Schirtschoj und »Kurutob« – einem vegetarischen Gericht aus Fladenbrot, Quark-Wasser-Sauce, Zwiebeln, Tomaten, Gurken und Baumwollöl.

Während einer Reise in ferne Länder bewegen wir uns oft auf der Oberfläche des Alltags. Es ist nicht nur unser eigener urlaubsblinder, Glück suchender Blick. Bisweilen wird diese Oberfläche von den Gastgebern extra für uns poliert. Wir erleben eine geradezu erschütternde Gastfreundschaft und halten sie für das wirkliche Leben. Wenn wir die Augen und das Herz ein bisschen weiter öffnen würden, könnten wir sehen, dass der viel gepriesene kulturelle Unterschied eigentlich etwas anderes ist: Unser Reichtum verleiht uns die Flügel, zu Menschen zu reisen, die ihre Armut für uns kaschieren.

Text & Bild: Dagmar Schreiber

 

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