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Das Plastik-Paradox
Copyright Bild: Pixabay/H.Hach
Interview: Stephanie Arns
Jedes Jahr gelangen Millionen Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere. Der Tourismus ist dabei Mitverursacher und Leidtragender zugleich. Ein Gespräch mit Martina von Münchhausen vom internationalen WWF Zentrum für Meeresschutz.
Warum erstickt die Welt in Plastikmüll?
Unsere globale Gesellschaft fußt auf Kunststoff. Er wird überall eingesetzt: in der Medizin und Hygiene, in Technik und Produktion, im Lebensmittelbereich. Wir haben jedoch versäumt, uns frühzeitig Gedanken zu machen, was aus dem Material wird, wenn es benutzt und nicht mehr gebraucht wird. Dem kurzen Gebrauch folgt eine extreme Langlebigkeit. Kunststoffe verrotten erst nach Jahrzehnten bis Jahrhunderten. Weil wir dieses Problem so lange ignoriert haben, befinden sich heute mittlerweile etwa 150 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen – mit verheerenden Auswirkungen auf die Meeresbewohner, die Ökosysteme und letztlich für unsere Gesundheit und Lebensgrundlage.
Und es wird immer mehr produziert – mit weltweit rund 400 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr 50 Mal so viel wie vor 60 Jahren.
Kunststoffe sind nicht von heute auf morgen austauschbar. Die Produktion steigt weltweit beständig an, was im Wirtschaftswachstum und im Lebensstil begründet liegt. Deutschland ist Spitzenreiter in Europa. Und Europa ist nach China der zweitgrößte Plastikproduzent der Welt. Die entscheidende Frage ist, wo gelangt das Plastik in unsere Umwelt? Denn nur ein Bruchteil davon wird ordnungsgemäß behandelt, verbrannt oder recycelt. Wenn es in einem Kreislauf enden würde, hätten wir keine Probleme in diesem Ausmaß. Viele Länder kriegen ihr Müllaufkommen und dessen Entsorgung jedoch nicht in den Griff. Insbesondere in Südostasien gelangt ein großer Teil des Plastiks unbehandelt durch die Flüsse in die Meere. Vielerorts existiert dort überhaupt kein Abfallsystem. Die Abfälle werden noch nicht einmal in Deponien gelagert, sondern einfach auf wilden Müllkippen in die Natur geworfen oder illegal verbrannt. Zudem importieren einige Länder, wie derzeit vor allem Malaysia, zusätzlich Altmüll aus Industrieländern, um es gegen Geld weiterzuverarbeiten – was dann oft nicht rechtmäßig geschieht. Und auch der boomende Tourismus in sensiblen Urlaubsregionen weltweit verschärft das Müllproblem noch zusätzlich.
Gerade auch die Situation im Mittelmeer ist dramatisch
Das Mittelmeer wird aufgrund seiner geografischen Lage und des fehlenden Wasseraustausches zunehmend zur Plastikfalle, insbesondere auch was Mikroplastik, das in vielen Kosmetikprodukten enthalten ist, anbelangt. Mittlerweile machen pro Jahr mehr als 300 Millionen Menschen Urlaub am Mittelmeer, Tendenz steigend. Nach der Karibik ist es zudem zum beliebtesten Kreuzfahrtziel geworden. Das alles hat zur Folge, dass in der Hauptsaison rund 40 Prozent mehr Abfälle ins Meer gelangen. Insbesondere in der Nähe beliebter Badeorte vermüllen die Küsten, was Urlauber wiederum zunehmend empört und verschreckt.
Der Tourismus ist damit nicht nur Mitverursacher, sondern auch Leidtragender des Plastikproblems.
Die Säuberungsaktionen von Stränden, die Beseitigung von Plastik aus dem Meer und von Korallenriffen verursacht jährlich hohe Kosten. Das Müllaufkommen zu Wasser und zu Land zerstört die erhoffte Urlaubskulisse. Die Reisenden werden unmittelbar mit dem Problem konfrontiert, es lässt sich nicht mehr ignorieren. Der Zusammenhang zwischen Konsum, Massentourismus und Abfall wird ersichtlich. Das erlebt man bei anderen negativen Auswirkungen des Reisens nicht so. Die Verbindung zwischen Flugreisen in die Urlaubsdestination und Klimawandel wird oft stoisch ausgeblendet. Bei der Vermüllung ihrer Urlaubslandschaften haben viele Touristen den Impuls, den Reiseveranstalter oder die Hotels aufzufordern, etwas dagegen zu unternehmen. Oder sie wollen selbst tätig werden.
Was können und müssen die Veranstalter tun?
Wir hatten die Diskussion bei der Veranstaltung des Studienkreises, den „ZwischenRufen“ auf der ITB, bei der auch Veranstalter wie TUI Cruises oder Thomas Cook anwesend waren. Wenn die Reiseindustrie den Verbrauch von Plastik einschränkt, beispielsweise auf Strohhalme, Plastikflaschen oder Einwegbechern für Kaffee verzichtet und das in ihren Hotelketten umsetzt, hat das allein vom Volumen her schon große Auswirkungen. Es wird hier also freiwillig schon einiges getan. Doch diese Schritte sind bei weitem nicht ausreichend und so wirkungsvoll wie sie sich anhören. Die Anbieter bleiben noch zu sehr in ihrem eigenen Kosmos verhaftet. Wenn in einem Land oder einer Urlaubsregion ein Großteil der Einnahmen durch den Tourismus erbracht werden, hat dieser Wirtschaftszweig eine ebenso große Macht wie Verantwortung. Reiseveranstalter müssten mehr Druck ausüben auf die Destinationen, in denen sie Geschäfte machen. Sie müssten sich dafür einsetzen, dass dort eine effiziente Müllinfrastruktur aufgebaut wird und diese auch teilweise mitfinanzieren. Denn was nützt es, wenn die Hotelstrände regelmäßig gesäubert werden und der in den Hotels anfallende Müll sauber getrennt wird – wenn er später dann doch wieder auf einer illegalen Deponie landet? Damit wird zwar die unmittelbare Urlaubskulisse erhalten, es kaschiert aber die eigentlichen Schwachstellen im System.
Der WWF hat aus diesem Grund in zahlreichen Ländern Projekte initiiert.
Gerade in südostasiatischen Ländern, wo eine entsprechende Infrastruktur fehlt, arbeiten wir eng mit den Gemeinden, Behörden für Umwelt und Tourismus und der Politik zusammen, oft auch im Schulterschluss mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Gemeinsam wollen wir die Qualität der Abfallwirtschaft durch Modellprojekte verbessern. Wir engagieren uns beispielsweise stark auf der vietnamesischen Urlaubsinsel Phu Quoc, auf der der Tourismus extrem stark angestiegen ist und die mittlerweile im Müll versinkt. Wir versuchen hier auch den Privatsektor, vor allem Hotels und Gastronomie, mit ins Boot zu holen.
Auch auf Kreuzfahrtschiffen wird der Müll zur großen Herausforderung.
Auf Schiffen muss alles effizient sein, es herrscht wenig Platz. Der anfallende Müll einer ganzen Tour kann nicht wieder in den Heimathafen zurückgebracht werden. Wenn ein Schiff in einem Reiseziel an Land geht, gibt es oft nicht die Möglichkeit, den Abfall ordnungsgemäß zu entsorgen. Einige globale Redereien kaufen ganze Inseln auf oder bauen in Häfen ihre privaten Terminals. Es wird viel investiert. Man sollte jedoch nicht nur Shoppingmalls für die Touristen errichten, sondern auch die fehlenden Abfallentsorgungseinrichtungen. Die Kreuzfahrtindustrie zahlt Gebühren für die Infrastruktur in den Häfen, doch keiner weiß genau, was mit dem Müll passiert. Häufig sind es private Subunternehmer, die die Müllentsorgung in der Hand haben. Tourismus findet in den Reiseländern weltweit statt, die deutsche Gesetzgebung greift hier nicht.
Das Vorhaben der UN-Umweltversammlung (UNEA) in Nairobi, eine globale Regelung in Gang zu bringen, ist zunächst gescheitert.
Das ist mehr als bedauerlich, ein Kompromiss ist letztendlich wegen zwei Ländern misslungen. Die UN-Staaten haben zwar eine Resolution zum Plastikmüll im Meer verabschiedet, doch die Inhalte sind schwammig, erst in zwei Jahren, 2021, soll darüber weiter diskutiert werden. Die UNEA ist das höchste beschlussfähige Gremium der internationalen Umweltpolitik. Wir brauchen eine verbindliche globale Konvention, die die weitere Vermüllung der Meere beendet. Wir brauchen internationale Abkommen, die die Länder dann umsetzen. Im Moment macht jeder seine eigenen Gesetze.
Immerhin hat die EU ein Plastikabkommen verabschiedet.
Das Plastikproblem wühlt die Bevölkerung auf. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von 2017 sehen es rund 87 Prozent der EU-Bürger als Bedrohung an und wünschen eine schnelle Lösung. Die EU hat reagiert und Verbote für bestimmte Einwegprodukte aus Plastik wie Geschirr, Besteck, Trinkhalme, Watte- und Rührstäbchen erlassen. Die Richtlinie muss bis 2021 in den nationalen Gesetzen umgesetzt werden. Plastikflaschen sind davon ausgenommen, doch ihre Recyclingquote soll erhöht werden. Zudem wurde die Verantwortung der Produzenten festgeschrieben, diese müssen künftig für Sammlung und Abfallmanagement bestimmter Produkte, gerade auch Plastikflaschen, zahlen.
Der WWF fordert eine erweiterte Produzentenverantwortung, die international gelten soll.
Der Plastikmüll an asiatischen Stränden stammt von Produzenten aus Amerika, Europa und China. Unternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen, müssen dafür sorgen, dass diese in den Ländern nicht nur verkauft werden, sondern dass sie auch die Sammlung, Sortierung und das Recycling von gebrauchten Verpackungen und Produkten organisieren und finanzieren. Die Entsorgung und Bearbeitung von Abfall ist teuer und wird in vielen Ländern noch aus öffentlichen Geldern finanziert, die jedoch oft nicht ausreichen, was zu den bekannten Problemen führt. Produzenten könnten beispielsweise über gesetzliche Regelungen verpflichtet werden, für Verpackungen Lizenzgebühren zu zahlen, vergleichbar mit dem dualen System in Deutschland. Es muss ein Rücknahme- oder Pfandsystem eingeführt werden, das sicherstellt, dass das Produkt in eine Wiederverwertungszirkulation gelangt.
Das duale System in Deutschland ist auch in die Kritik geraten, die Wiederverwertungsquote sei zu gering.
Hier muss in der Tat einiges verbessert werden. Das neue Verpackungsgesetz, das im Januar 2019 in Kraft getreten ist, sieht ab 2021 Recyclingquoten von 63 Prozent vor. Der Anteil des Rezyklats ist bislang noch zu gering, ein hoher Prozentsatz des Plastikabfalls ist verunreinigt und kann nicht wiederverwertet werden. Verpackungen sind oft noch nicht recyclinggerecht gestaltet. Die Grundidee unser Systems, die Produzenten in die Verantwortung zu nehmen, ist jedoch richtig.
Welche Rolle spielen die Konsumenten? Müssen wir mehr Verzicht üben?
Ja, das sollten wir. Alles was wir nicht notwendigerweise brauchen, muss abgeschafft werden. Benötigt ein Hotelgast mehrere Kosmetikartikel im Bad? Das alles zählt mittlerweile zum Standard, ist jedoch überflüssig. Der Besuch einer illegalen Mülldeponie oder Müllinsel im Urlaubsort würde uns sehr schnell davon überzeugen, dass vieles, was wir auf Reisen konsumieren, überflüssig und schädlich ist und ein Verzicht keine Überwindung kostet. Das ist ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozess, der uns bevorsteht. Wir sollten dabei unseren gesunden Menschenverstand einschalten und uns von unserem Anspruchsdenken und unserer Bequemlichkeit verabschieden.
Wäre der Ersatz von Plastik durch andere Materialien eine Lösung?
Hier wird viel geforscht, momentan kann man aber noch nicht so viel ersetzen. Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen ziehen wiederum ganz andere Probleme nach sich – Monokulturen sowie den Verbrauch von Boden, Wasser und Energie. Die Ökobilanz von Einkaufstüten und Verpackungsmaterialien aus Bio-Kunststoffen ist nicht notwendigerweise gut. Außerdem fördern sie weiterhin unsere Wegwerfmentalität. Man sollte auf Einwegprodukte aller Art so gut wie möglich verzichten statt sie ersetzen zu wollen.
Verzicht geschieht oft nicht aus freien Stücken.
Darum brauchen wir gesetzliche Regelungen. Politik hat hier eine große Gewichtung, ansonsten wird es kaum Umsetzungen geben. Es ist begrüßenswert, wenn Unternehmen im Sinne ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung etwas auf freiwilliger Basis tun. Leider sind dies oft jedoch Maßnahmen, die sich zwar gut in der Außendarstellung machen, aber nicht unbedingt sehr effizient sind. Und nochmal zurück zur Tourismusindustrie: Damit der Berg an Plastik geringer wird, muss alles, was unnötig ist, vermieden werden. Darüber hinaus sollten die touristischen Anbieter politisch aktiver werden, wenn sie ihre Destinationen und ihren eigenen Wirtschaftszweig schützen wollen. Das Müllproblem endet nicht an der Hotelanlage.
Zur Person: Die studierte Volkswirtin Martina von Münchhausen ist verantwortlich für das Tourismus Programm des WWF (World Wide Fund for Nature) Deutschland im internationalen WWF Zentrum für Meeresschutz in Hamburg. Sie arbeitet an der Stärkung von nachhaltigem Tourismus und dessen Entwicklung am Markt sowie an gemeinsamen Strategien mit der Tourismusindustrie. Weitere Schwerpunkte sind die Reduzierung des touristischen Fußabdrucks insbesondere hinsichtlich des Klimawandels sowie die Qualitätssicherung von weltweit anerkannten Tourismuskriterien für Nachhaltigkeit und dem Schutz der Biodiversität.
In seiner jährlichen Veranstaltungsreihe „ZwischenRufe auf der ITB Berlin“ hat der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. im März 2019 die Diskussionsrunde „Das Plastik-Paradox oder Lifestyle hits Lifestyle - Bei der Verschmutzung der Meere sind wir Täter und Opfer zugleich.“ initiiert. Gesprächsteilnehmer waren Victoria Barlow, Group Environmental Manager von Thomas Cook, Mark Hehir, CEO von The small Maldives Island Co (TSMIC), Wybcke Meier, CEO von TUI Cruises sowie Martina von Münchhausen vom WWF-Zentrum für Meeresschutz.